Die dritte Reihe der Edition präsentiert Forschungen Humboldts im Umfeld der Reisen und bringt viele Texte und Briefe Humboldts erstmals heraus. Der erste Band der Reihe III ist Humboldts lebenslangem Projekt der Geographie der Pflanzen gewidmet.
Neben den Tagebüchern ediert das Vorhaben ausgewählte Bestände aus Humboldts Nachlass in Berlin und Krakau: Dokumente, Briefe, Notizen, Karten, die in unmittelbarem Zusammenhang mit Humboldts hemisphärischen Reisen stehen.
Der erste Schwerpunkt ist dem Themenkomplex Biowissenschaften, insbesondere Humboldts Aufzeichnungen zur Pflanzengeographie, gewidmet.
Alexander von Humboldts wissenschaftliches Programm begreift die Natur als harmonische Einheit aller Erscheinungen, Stoffe und Lebewesen. Am Beginn seiner Überlegungen zu einer Geographie der Pflanzen standen Fragen nach der Verbundenheit von Pflanzen- und Menschheitsgeschichte. Auf der amerikanischen Reise entwickelte Humboldt das Konzept der Pflanzenphysiognomik, demzufolge morphologische Hauptformen in ihren jeweiligen Anteilen den Charakter verschiedener Vegetationstypen bestimmen. Im ebenfalls bereits auf der Reise entworfenen Naturgemälde der Tropenländer wurde die Geographie der Pflanzen zum Teil eines weltumspannenden geowissenschaftlichen Forschungsprojekts. Der Plan einer Pflanzengeographie der ganzen Erde lag auch Humboldts Arbeiten zum numerischen Verfahren der botanischen Arithmetik und dem – schließlich aufgegebenen – Vorhaben einer Neuausgabe seiner Ideen zu einer Geographie der Pflanzen zugrunde. Im Nachlass Alexander von Humboldt befinden sich zahlreiche unveröffentlichte Manuskripte und Korrespondenzen (unter anderem mit Karl Ludwig Willdenow und Carl Sigismund Kunth) zur Pflanzengeographie, die 2016–2018 in der edition humboldt digital publiziert wurden und 2019 in einer kuratierten Auswahl als Band 1 der Reihe III “Forschungen im Umfeld der Reise” in der edition humboldt print veröffentlicht werden.
Welche Impulse gab Humboldt zeitgenössischen Forschungsreisen? Zwar beriefen sich praktisch alle reisenden Naturforscher der Zeit auf Humboldt und dessen Reisewerk, viele von ihnen beriet und förderte er. Forschungseinrichtungen verfassten Instruktionen für wissenschaftliche Reisende, die ebenfalls dem Humboldt’schen Ideal einer möglichst umfassenden Sammel- und Aufzeichnungspraxis entsprachen. Zugleich aber spezialisierten sich die Naturwissenschaften – und mit ihnen die Reisenden. Es entstand ein Spannungsverhältnis zwischen (Humboldt’schem) Reiseideal und Reisepraxis, das auch Humboldt kommentierte. Wie entwickelte sich das Verhältnis zwischen den Reisenden und den zu Hause gebliebenen Gelehrten, Administratoren und Kuratoren? Angesichts einer zunehmenden personellen Trennung der Sammlungstätigkeit im Feld und der wissenschaftlichen Auswertung vermittelte Humboldt häufig zwischen Reisenden und ihren Auftraggebern, veröffentlichte im Namen abwesender Forscher erste Ergebnisse und vermittelte europaweit den Tausch, Verleih und Verkauf von Sammlungsobjekten. Hier schlägt der Themenschwerpunkt Forschungsreisen thematisch eine Brücke zur Objektgeschichte und folgt den Spuren Humboldt’scher Mittlertätigkeit – etwa in Berliner Sammlungen. Bereits digital veröffentlicht wurde 2019 Christian Gottfried Ehrenbergs Tagebuch der russisch-sibirischen Reise mit Humboldt (1829), das zahlreiche Verweise auf zoologische und botanische Spezimina enthält, die an Berliner und Pariser Sammlungen gingen. Bereits auf seiner eigenen amerikanischen Reise hatte Humboldt das Ideal einer Verbindung zwischen Ästhetik und Wissenschaft entworfen. Sein Briefwechsel mit Johann Moritz Rugendas zeigt exemplarisch, wie Humboldt sein Konzept an eine neue Generation nach Amerika reisender Landschaftsmaler vermittelte.
Die Indien- und Himalayareise Adolph, Hermann und Robert Schlagintweits (1854–1858) war das letzte große Förderprojekt Alexander von Humboldts. Die Brüder unternahmen ihre Expeditionen im Moment eines tiefgreifenden epistemologischen Umbruchs in der empirischen Feldforschung und dem Studium fremder Kulturen. Der Schlagintweit-Briefwechsel, der sich im Wesentlichen über die Bearbeitung der Berliner und Münchner Bestände erschließt, verweist im Anschluss an den Rugendas-Briefwechsel auf einen medienhistorischen Paradigmenwechsel vom Naturgemälde zur Fotografie. Waren die umfangreichen Sammlungen der Schlagintweits zunächst und mit Unterstützung Alexander von Humboldts für ein geplantes Indisches Museum im Berliner Schloss Monbijou vorgesehen, so wurden sie rasch zum Streitobjekt zwischen britischen Kolonialbehörden und der preußischen Museumsverwaltung.
Humboldts erdwissenschaftliche Forschungen umfassten unter anderem die heutigen Disziplinen Mineralogie, Geologie, Meteorologie, Klimatologie und Geophysik. Er verglich den Aufbau der Erdkruste, das Streichen und Fallen der Gebirge sowie Vulkanketten weltweit, um Mustern und Gesetzmäßigkeiten auf die Spur zu kommen. Dieses Ziel verfolgte Humboldt auch bei seinen Untersuchungen zur Atmosphäre und mittleren Temperaturverteilungen der Erde. In Humboldts Nachlass in der Staatsbibliothek zu Berlin finden sich zahlreiche unveröffentlichte Schriften, deren forschende Edition ein neues Licht auf Humboldts hypothesengeleitete Erdwissenschaft werfen wird. Dazu gehören unmittelbar nach der Reise 1804 in Paris mit Louis-Jacques Thénard und Joseph Gay-Lussac durchgeführte chemische Experimente zur Zusammensetzung der Atmosphäre (“Absorption de l’oxygène par les terres humectées”; “Expériments sur l’air atmosphérique”, gr. Kasten 8). Diese Versuche können als Fortsetzung seiner Beobachtungen zur Reinheit der Luft und dem von ihm angenommenen Zusammenhang mit der Ausbreitung epidemische Krankheiten (vor allem Gelbfieber) gesehen werden, die Humboldt wenige Monate zuvor in Neu-Spanien und auf Kuba niedergeschrieben hatte (“C'est mon cahier de la Havane intitulé sur la salubrité de l'air”, 28 Bl., Bd. 1 im Krakauer Nachlass).
In den 1820er Jahren entstanden im Umfeld der Arbeit am Geognostischen Versuch über die Ausbreitung der Gebirgsarten in beiden Erdhälften (1823) zahlreiche bislang unveröffentlichte Manuskripte. Der über dreißig Seiten lange “Examen des hypothèses géologiques considérées dans le rapport de leur concordance avec les principes de la Mécanique, de la Physique et de la Chimie” (gr. Kasten 5) setzt sich unter anderem mit Schriften zur Thermodynamik von Joseph Fourier und Siméon Denis Poisson auseinander. Ein mit zahlreichen handschriftlichen Anmerkungen durchschossenes Handexemplar der französischen Ausgabe des Geognostischen Versuchs bewahrt das Archiv der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften auf. Im Anschluss an die russisch-sibirische Reise setzte sich Humboldt intensiv mit der Geologie und Klimatologie des asiatischen Kontinents auseinander. Ein erstes Ergebnis war der im Januar 1831 in Paris gehaltene Akademievortrag „Sur quelques phénomènes physiques et géognostiques de l’Asie au nord de parallèle de 50 degrés“ (1831, gr. Kasten 5), der nun erstmals veröffentlicht wird. Auch hier zeigt sich Humboldts Forschung als eine Wissenschaft aus der Bewegung: “La description du globe n’est point une science stationnaire” [Die physikalische Beschreibung der Erde ist keine starre Wissenschaft].
Während der gesamten amerikanischen Forschungsreise präzisierte Humboldt durch astronomische Ortsbestimmungen und erste kartographische Vorzeichnungen die Geographie des Kontinents. Die beiden Atlanten des amerikanischen Reisewerks fußen zudem auf früheren Kartenwerken amerikanischer und europäischer Kartographen, die Humboldt als Referenzgrößen heranziehen konnte. Humboldts Austausch mit amerikanischen (José Manuel Restrepo, Joaquín Acosta) und europäischen (Adrian-Hubert Brué, Pierre Lapie, Jean-Baptiste Joseph Delambre) Kartographen, Zeichnern und Stechern bei der Arbeit an seinem Kartenwerk, der insbesondere in den Bänden 7 und 8 des Krakauer Nachlasses reich dokumentiert ist, wird im Themenschwerpunkt erstmals umfassend editorisch erschlossen.
Als Historiker der geographischen Erkundung Amerikas durch die Europäer erkannte Humboldt den Quellenwert der in der Frühen Neuzeit entstandenen Karten Amerikas. Humboldts kartographiegeschichtliche Untersuchungen, wie sie vor allem in den Manuskripten und Skizzen des 9. Bandes im Krakauer Nachlasses enthalten sind, bilden einen weiteren Fokus des Themenschwerpunktes.
Dokumente, Mitschriften, Notizen und Korrespondenzen zu einer “Geschichte der Weltansicht”, wie Humboldt diverse Umschläge selber betitelt, finden sich besonders im großen Kasten 8 des Berliner Nachlasses: Materialien zur Naturphilosophie der Ägypter, Griechen und Chinesen, zur Urgeschichte der Phönizier, zur Geschichte des Sanskrit und indischen Philosophie sowie zur Frühgeschichte der Globalisierung im Kontext der europäischen Eroberung des amerikanischen Kontinents. Humboldts kultur- und wissenschaftshistorischer Blick auf das Zeitalter der europäischen Entdeckungen und der Frühphase des iberoamerikanischen Kolonialismus zeigt sich auch im Krakauer Nachlass. In Ergänzung zu den Materialien aus Themenschwerpunkt III.4 (Entdeckungsgeschichte und Kartographie) erweist sich Humboldt hier als Erforscher der amerikanischen Sprachenvielfalt. Er erkennt im Studium der Sprachen der Welt den Ausdruck einer Vielfalt der Weltkulturen. Hier kommen die Forschungsinteressen der beiden Humboldt-Brüder in besonderer Weise in Berührung: Materialien zur nord- und mesoamerikanischen Sprach- und Kulturgeschichte interessieren Alexander ebenso wie Studien zur Archäologie der amerikanischen Hochkulturen, die er immer im Sinne einer vergleichenden Anthropologie in Beziehung setzt zur Geschichte des sogenannten Orients (v.a. Ägypten) und den Kulturen Ostasiens.
Mit Blick auf die Einheit des Menschengeschlechts prägt Humboldt im ersten Band des Kosmos die berühmte Sentenz: “Indem wir die Einheit des Menschengeschlechtes behaupten, widerstreben wir auch jeder unerfreulichen Annahme von höheren und niederen Menschenracen. Es giebt bildsamere, höhere gebildete, durch geistige Cultur veredelte, aber keine edleren Volksstämme. Alle sind gleichmäßig zur Freiheit bestimmt; zur Freiheit, welche in roheren Zuständen dem Einzelnen, in dem Staatenleben bei dem Genuß politischer Institutionen der Gesammtheit als Berechtigung zukommt.” Diese Überzeugung orientiert Humboldts kulturanthropologische Forschungen, wie sie etwa in den 1810-1813 publizierten Vues des Cordillères et monumens des peuples indigènes de l’Amérique zum Ausdruck kommen, genauso wie seine besonders durch die Erfahrungen der amerikanischen Forschungsreise initiierten Studien zu Sklaverei und Plantagenwirtschaft. Hierfür bilden sowohl der Krakauer (v.a. die Bände 1-3) als auch der Berliner Nachlass (v.a. die großen Kästen 2 und 13) eine wichtige Hintergrundquelle.